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Der Faire Markt 2019

1. Ratinger Tage der Nachhaltigkeit werden verschoben (Interview)

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  • Beitrag zuletzt geändert am:12. Mai 2020

Vielleicht habt ihr das Interview mit unserer Vorsitzenden Julia Merkelbach in der Rheinischen Post schon gelesen, aber trotzdem haben wir hier noch einmal die vollständige Version für euch hochgeladen. Die Fragen stellte Marita Jüngst. Die Veröffentlichung findet ihr auf RP Online.

Der Dreck-weg-Tag, an dem sich auch Ratingen.nachhaltig beteiligt hat, ist noch durchgeführt worden. Nun sind alle weiteren Termine abgesagt. Wie sehen Ihre Aktivitäten derzeit aus?

“Wir mussten uns erstmal auch intern auf die neue Situation umstellen; und unsere Absprachen und Organisationtreffen ins Internet verlegen. Wir mussten und müssen auch noch einige Veranstaltungen absagen, aber wir versuchen, wo es möglich ist, Alternativen anzubieten. Anstelle des gemeinsamen CleanUps laden wir deshalb zum ursprünglich geplanten Termin zum #allEinsammeln ein – die Menschen sollen alleine bei einem Spaziergang ein Stück Wald, Park oder Straße von Müll befreien und uns gerne ein Foto davon bzw. der “Ausbeute” schicken, die wir dann zu einem Bild zusammenfügen und auf die Homepage stellen wollen. Außerdem planen wir mit neuen Formaten, zum Beispiel Podcasts und Videos. Und es läuft ja auch noch unser Zukunftskunst-Wettbewerb #kunstforfuture im Rahmen des Jugendkulturjahres, dessen Einreichungsfrist wir aufgrund der Corona-Pandemie bis Ende Mai verlängert haben. Wir versuchen also weiterhin, Denkanstöße und Möglichkeiten zu geben, aktiv zu werden – nur das persönliche Zusammentreffen muss momentan ausfallen. Außerdem erweitern wir momentan fleißig die Homepage mit vielen neuen Informationen, interaktiven Karten und mehr.”

Für den Juni waren in Ratingen die Tage der Nachhaltigkeit geplant. Fallen die ersatzlos aus, oder haben Sie einen Ausweichtermin ins Auge gefasst?

“Da wir ziemlich viel Arbeit in die Planung der 1. Ratinger Tage der Nachhaltigkeit investiert haben und auf große Resonanz gestoßen sind – es sind insgesamt 37 Veranstaltungen angemeldet worden, von denen wir selbst als Verein nur 3 organisiert haben, wollen wir die RTdN auf keinen Fall ausfallen lassen. Es haben sich so viele Menschen Gedanken gemacht und Ideen eingebracht, dass wir die Chance auf jeden Fall nutzen möchten, das Thema Nachhaltige Entwicklung weiter in den Fokus zu rücken. Deshalb suchen wir derzeit nach einem passenden Ausweichtermin, der erst nach den Sommerferien sein wird. Sobald es genauere Informationen gibt (auch von der Landesregierung bezüglich der Verbote von Großveranstaltungen) und es uns möglich ist, sichere und risikoarme Veranstaltungen durchzuführen, werden wir uns mit einem neuen Termin melden.”

Haben Sie Sorge, dass dieses Thema jetzt erstmal wieder in den Hintergrund rückt, weil die Menschen andere Sorgen haben?

“Ja und Nein. Auch unsere Vereinsmitglieder sind teilweise Risikopatienten oder haben Verwandte, um die sie sich momentan verstärkt kümmern. Trotzdem sind wir weiterhin aktiv und ich denke, dass viele Menschen ihre nachhaltigen Verhaltensweisen zum Beispiel beim Einkauf oder im Verkehr nicht aufgrund von Covid-19 verändern. Es besteht jedoch meiner Meinung nach die Gefahr, dass das Thema politisch in nächster Zeit vernachlässigt wird – dabei ist genau das die Ebene, die die wichtigen Schrauben drehen kann. Der europäische Green New Deal soll weiterhin kommen, obwohl einige Staaten sich aufgrund der aktuellen Situation dagegen ausgesprochen haben. Dabei liegt darin die Chance, die zur Ankurbelung der Wirtschaft geplanten Investitionen und Förderungen an Bedingungen wie Maßnahmen zur CO2-Einsparung oder faire Lieferketten zu knüpfen. Viele der momentanen Probleme sind auch durch nicht-nachhaltiges  Verhalten in der Vergangenheit entstanden, zum Beispiel die ständige Überproduktion von Lebensmitteln und Kleidung. In der jetzigen Situation, mit geschlossenen Geschäften, bleiben die großen Textilketten auf ihren Kollektionen sitzen. Als Folge davon brechen viele die Verträge mit ihren Zulieferfirmen z.B. in Bangladesh, wo jetzt Millionen von Näher*innen ihre Existenzgrundlage verloren geht. Gerade jetzt besteht also auch eine Chance, bestimmte Zustände zu verändern – indem man zum Beispiel bewusst fair und nachhaltig produzierte Waren einkauft. Diese Labels arbeiten nämlich sehr transparent, werden meist im lokalen Einzelhandel verkauft und zahlen faire Löhne an die Produzent*innen – auch jetzt. Ein Label produziert in seinen Fabriken zum Beispiel aktuell Behelfsmasken aus Baumwollstoff, um die Näher*innen weiter beschäftigen zu können und gleichzeitig den steigenden Bedarf dieser “Alltagsmasken” zu decken. Das sind gute Vorbilder und ich hoffe, dass solche Unternehmen in Zukunft mehr gewertschätzt werden – genauso wie bisher chronisch unterbezahlte, aber systemrelevante Berufsgruppen, in denen außerdem zum Großteil Frauen arbeiten.  Auch die Gleichstellungsfrage sollte in Folge dieser Krise diskutiert werden – Frauen leisten einen Großteil der  Care-Arbeit wie Kinderbetreuung und Krankenpflege und verdienen in Deutschland trotzdem durchschnittlich 21% weniger als Männer, vor allem in den jetzt “systemrelevanten” Berufen.
In einer kleinen Umfrage auf Instagram haben wir außerdem gefragt, was unsere Follower*innen nicht vermissen. Die häufigsten Antworten waren alle auf den Verkehr bezogen: Lärm, Stau, Abgase. Wir haben außerdem gefragt, was gerne so bleiben darf wie momentan, und da waren auch schöne Antworten dabei: Der Papa ist abends zuhause, um die Kinder  mit ins Bett zu bringen, andere haben täglich zwei Stunden mehr Zeit für sich, da die Pendelei wegfällt, viele verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern und fahren häufiger Fahrrad oder sind generell mehr in der Natur unterwegs. Und man sieht aktuell, dass die Gesellschaft insgesamt näher zusammenrückt und viel Solidarität in allen möglichen Formen gezeigt wird. Das sind alles Sachen, die wir in die Zeit nach Corona mitnehmen können und sollten. Wenn die Politik, auch in Ratingen, diese Ansätze und Entwicklungen dann auch weiterhin unterstützt, sehe ich positiv in die Zukunft.”

Wie können die Ratinger trotz der Corona-Krise und verschärfter Hygiene-Vorschriften den Nachhaltigkeits-Gedanken beibehalten?

Nachhaltigkeit ist ja nicht nur Klima- und Umweltschutz. Wir orientieren uns an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, die z.B. auch die Reduktion von Armut und Hunger, gute Bildung, Gesundheit, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit thematisieren. Und da bieten sich viele Möglichkeiten, auch in der Corona-Krise nachhaltig zu denken und zu handeln: Wir haben zum Beispiel nach der Schließung der Tafel vereinsintern für den Sozialdienst katholischer Frauen gesammelt, die derzeit Bedürftige mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgen. Gleichzeitig ist gerade jetzt der Zeitpunkt, in dem die Ratinger Bürger*innen die lokale Wirtschaft zu schätzen lernen und auch unterstützen sollten: Im Unverpacktladen “Local Ratingen” zum Beispiel wird regionales Getreide und Mehl aus Velbert verkauft, was dauerhaft verfügbar war, während der Großhandel keins mehr an die Supermärkte liefern konnte. Und auch die Marktstände versorgen die Kund*innen weiterhin mit Lebensmitteln zum Großteil aus der Region. Gerade jetzt sollten kleine, inhabergeführte Geschäfte, von denen sich in Ratingen schon einige aktiv im Nachhaltigkeitsnetzwerk einbringen und auch Veranstaltungen für die Ratinger Tage der Nachhaltigkeit angemeldet hatten, unterstützt werden, damit die Arbeitsplätze und der Charme der Ratinger Innenstadt erhalten bleiben und gerade die alternativen, zukunftsfähigen Geschäftskonzepte durchhalten. Ich persönlich denke, dass eine Krisensituation immer auch die Möglichkeit zum Umdenken gibt: Möchte ich bei einem Online-Großhandel bestellen, oder unterstütze ich den kleinen-Laden hier vor Ort, der gar nicht unbedingt teuer ist? Brauche ich wirklich alles, was beworben wird? Momentan wird deutlich weniger an Kleidung & Co. geshoppt, da einfach kein Angebot da ist. Vielleicht lernen wir in dieser Zeit alle wieder, etwas bewusster zu leben und können auch den Nachhaltigkeitsgedanken stärker in den Fokus rücken, da uns die wirklich wichtigen Dinge im Leben wieder vor Augen kommen: Gesundheit, Gemeinschaft und Nahrungsmittel aus einer gesunden Umwelt. Alles andere sind schöne Beiwerke des Lebens, aber nicht so notwendig, dass wir dafür unsere Umwelt zerstören und andere Menschen ausbeuten sollten.
Wir bieten weiterhin online eine Anlaufstelle für Nachhaltigkeitsinteressierte und hoffen, dass wir mit unseren Aktionen auch in Zukunft viele Menschen erreichen – und hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft die 1. Ratinger Tage der Nachhaltigkeit gemeinsam mit vielen Ratinger*innen feiern können.”


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