Statistische Zahlen aus dem Jahr 2018
Nachdem die tödlichen Unfälle im Straßenverkehr bis 2017 stetig abgenommen haben, sind 2018 erstmals wieder mehr Menschen im Straßenverkehr gestorben. Besonders groß ist der Anstieg der verstorbenen FahrradfahrerInnen. Von den 3275 tödlich Verunglückten (+ 3 Prozent), sind 445 FahrradfahrerInnen und damit 63 mehr als im Vorjahr (+15 Prozent), 16,8 Prozent mehr als 2010 und die höchste Zahl seit 2009. In NRW gab es 1.700 Fahrradunfälle mehr, was einem Plus von 11,4 % entspricht. Auch die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer ist in NRW von 50 auf 55 Personen angestiegen (Vergleich 2017 zu 2018), die der Pedelecfahrer mit 21 (Vorjahr: 20) konstant geblieben. Insgesamt stieg die Anzahl der tödlich verunglückten Radfahrer in NRW um 10 Prozent.
Was kann man daraus schließen?
Daraus schließen kann man, dass die ganzen Diskussionen über Stickoxide, Elektroautos, den Dieselskandal und die versprochene Verkehrswende, so wichtig sie auch sein mag, doch an einer Personengruppe im Verkehr vorbeigehen: den Fahrradfahrern. Die, die am meisten zu einer nachhaltigen Verkehrswende durch saubere, leise und platzsparende Fortbewegung beitragen sind die, die am meisten darunter leiden und gefährdet werden. Und ist es nicht verständlich, dass Eltern ihre Kindern eben deshalb mit dem Auto zur Schule bringen? Aus Sicht von FahradfahrerInnen sind die Innenstädte ein potenzielles Gefahrengebiet, an jeder Kreuzung lauert eine potenzielle tödliche Gefahr. Und auch der oft genannte Vorwurf der „Kampfradler, die sich selbst gefährden“, ist unwahr: Statistiken zeigen, dass bei 75 Prozent der Unfälle zwischen Pkw und Fahrrad die Pkw-HalterIn Schuld war, bei Unfällen zwischen Lkw und Fahrrad sogar zu 80 Prozent der/die Lkw-FührerIn. Die meisten Unfälle entstehen im Abbiegeverhalten von KraftfahrerInnen. Auch der „Tote Winkel“ ist immer noch eine besondere Unfallursache. Und dann am Ziel angekommen, schaffen es Städte an vielen Stellen nicht, ausreichend Befestigungsmöglichkeiten für Radfahrer zu installieren, damit die mittlerweile häufig sehr teuren Fahrräder, E-Bikes und Pedelecs sicher geparkt werden können. Allerdings sind im Kreis Mettmann die Fahrraddiebstähle leicht gesunken und die auf Aufklärkungsquote von 11,32 Prozent auf 16,54 Prozent gestiegen.
Das hauptsächlich Unsicherheit zu verringertem Fahrradaufkommen führt, fanden J. Dill und N. McNeil vom der Portland State University in einer Studie aus dem Jahr 2016 heraus. Bei Befragungen fanden die Forscher heraus, dass es unterschiedliche Radfahrtypen gibt:
Der überwiegende Teil, je nach Erhebung 51 bis 60 Prozent, würden häufiger Radfahren, wenn das Sicherheitsgefühl besser werden würde. Dabei sind Zusammenstöße mit Kraftfahrzeugen die größte Sorge. Die Forscher klassifizierten diese Gruppe als „interessiert, aber besorgt“.
Ein Drittel der Befragten schlossen den Umstieg auf das Rad komplett aus.
Ein wesentlich kleinerer Anteil der Befragten (zwischen acht und 15 Prozent) bezeichneten die Forscher als „stark und furchtlos“ oder „sichere Enthusiasten“.
Die Forscher schlossen daraus, dass die Sicherheit der Verkehrswegeinfrastruktur entscheidend für die Entscheidung zum Radfahren ist, nicht die steigende Anzahl der RadfahrerInnen auf der Straße. Im Gegenteil. Dies würde wahrscheinlich die negativen Unfallstatistiken weiter ansteigen lassen. Eine weitere Erkenntnis: Menschen nutzen das Auto auch, weil sie sich in einer geschlossene Hülle deutlich sicherer fühlen.
Doch was sind die Gründe der vielen Fahrradunfälle und was kann dagegen getan werden?
Zum einen sind die steigenden Zahlen auch Ausdruck eines steigenden Verkehrs und der steigenden Zahl von RadfahrernInnen. Die Städte wachsen und die damit entstehende Enge und die unterschiedlichen Geschwindigkeiten fördern Konflikte und Unfälle.
Wie kann das Fahrradfahren sicherer werden?
Die Frage lässt sich einfach beantworten: durch mehr Platz. Momentan nimmt der motorisierte Verkehr 60 Prozent des verfügbaren Platzes auf der Straße ein, RadfahrerInnen liegen bei um die 3 Prozent. Der Platz muss umverteilt werden, denn FahrradfahrerInnen benötigen geschützte Radwege, um die Unfälle zu reduzieren. Die beste Variante geschützter Radwege ist die Trennung von Auto-, Rad- und Fußverkehr, um damit den Geschwindigkeitsunterschieden gerecht zu werden. Zudem müssen die Investitionen gesteigert werden. Utrecht gibt z. B. 132 EURO, Kopenhagen 36 EURO und Berlin 4,70 EURO pro Kopf und Jahr für die Verkehrswegeinfrastruktur aus. Für Ratingen liegen uns derzeit keine Zahlen vor. Wir werden versuchen, diese zu erheben.
Gibt es gute Beispiele?
Ja. Der rot-rot-grün regierte Stadtstaat Bremen zum Beispiel baut massiv die Infrastruktur um, um FahrradfahrerInnen eine sichere Umgebung für die Teilnahme am Verkehr zu geben. Dabei sind Radschnellwege zu nennen, bei denen der Radverkehr einen Vorrang gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hat und vor allem Pendler zügig Städte befahren können. Aber auch die Regelungen des Kreuzungsbereich, etwa wie in den Niederlanden, sind wichtige Stellschrauben. Darunter fallen etwa eine versetzte Ampelschaltung und neugestaltete Straßenkreuzungen. Und auch Kleinigkeiten können den Radverkehr fördern: Kopenhagen hat etwa die öffentlichen Mülleimer so ausgerichtet, dass sie auch von RadfahrerInnen bei der Vorbeifahrt genutzt werden können. Das Kopenhagener Modell kann auch für hiesige Kommunen als Vorbild dienen. Kommunen müssen den Radverkehr auch in Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele massiv ausbauen. Nicht nur mit der Sicht auf die Sicherheit, die alleine ja schon Grund genug dafür ist, sichere Verkehrswegeinfrastruktur zu planen, sonder auch um die Stickoxidbelastungen zu senken und den immer enger werdenden Raum sinnvoll zu verteilen und nicht mehr mit einer Verkehrsform zu besetzen, die im Schnitt 23 Stunden am Tag auf dem Parkplatz steht und nur eine Stunde mobil ist . Auch der volkswirtschaftliche Ertrag durch den Radwegebau ist erstaunlich. Vor der derzeitigen Umsetzung des Ruhrradschnellweges (RS1), einem Radschnellweg von Nord nach Süd durchs Ruhrgebiet, wurde eine Konzeptstudie angefertigt. In dieser wurde ein Kosten-Nutzen-Faktor von 4,8 ermittelt. D. h., jeder investierte EURO erwirtschaftet bei diesem Projekt 4,80 EURO. Wir können uns gut vorstellen, dass dieses in ähnlicher Weise auch für den Radverkehr in Ratingen gilt. In Freiburg zum Beispiel werden 19 Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt – die Kosten für den kommunalen Haushalt belaufen sich hingegen auf nur ein Prozent. Das sind weniger Kosten als für die Straßeninstandhaltung. Das dänische Verkehrsministerium hat ermittelt, dass durch die Investitionen von 50 Millionen EURO in die Kopenhagener Radwegeinfrastruktur sich langfristig 230 Millionen EURO einsparen lassen. Hier zeigt sich wieder der Faktor vier. Es wäre wünschenswert, wenn die notwendigen Planungs- und Verkehrsbehörden ebenfalls solche Berechnungen anstellen und in den politischen Raum tragen würden. Eines gilt bei all den Rechnung definitiv: Wer sichere Radwege baut, wird Radverkehr ernten.
Und was können wir RadfahrerInnen tun?
Fahrrad fahren! Auch wenn es nicht immer leicht ist, und die Angst (häufig) berechtigt, wie die US-Studie zeigt, müssen RadfahrerInnen sichtbarer Teil des Städteraums werden und damit ihre Ansprüche auf eine sichere Infrastruktur untermauern. Und es muss ernsthaft darüber nachgedacht werden, warum BürgermeisterInnen, die autofreie Straßenräume und Städte fordern, heute eigentlich keine Chance haben, gewählt zu werden. BürgerInnen müssen diesen PolitikerInnen durch ihr Kreuz auf dem Wahlschein die Chance geben, politisches, fahrradfreundliches Handeln umzusetzen.
Ratingen.nachhaltig versucht ebenfalls, einen Beitrag zu leisten, denn damit wird auch ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung geleistet und ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Agenda 2030-Ziele (SDGs der Vereinten Nationen) gesetzt. Derzeit arbeiten wir an einem Projekt „Lastenradverleih in Ratingen“, damit RatingerInnen sich kostenlos oder gegen eine kleine Gebühr ein solches Gefährt ausleihen können. Neben diesem Ausprobieren möchten wir ebenfalls dazu beitragen, den Radverkehr in all seinen Facetten als gleichberechtigten Teil der Fortbewegung in Ratingen zu etablieren.
Quelle:
Destatis: Straßenverkehrsunfälle 2018: 3 Prozent mehr Tote und 1,5 Prozent mehr Verletzte
Destatis: Getötete bei Verkehrsunfällen nach Art der Verkehrsbeteiligung
Ministerium des Innern des Landes NRW (2019): Verkehrsunfallstatistik: Zweiradfahrer im Stadtverkehr besonders gefährdet
Polizei NRW, Kreis Mettmann: Verkehrsunfallentwicklung im Kreis Mettmann
SAGE journals (2016): Revisiting the Four Types of Cyclists: Findings from a National Survey
Katapult (2019): Radverkehr – Vom Fahrradalbtraum zur autofreien Innenstadt
ADFC Bundesverband (2018): Tödliche Unfälle mit abbiegenden LKW nehmen zu – Scheuer muss handeln
Der Polizeipräsident in Berlin (2017): Sonderuntersuchung „Radfahrerverkehrsunfälle“ in Berlin 2017
Lifecycle (2019): Radschnellweg RS1 statt Ruhrschleichweg – Interview mit Martin Tönnes vom Regionalverband Ruhr
Umweltbundesamt (2016): Radverkehr
Greenpeace (2018): Greenpeace: Radfahrende schützen – Klimaschutz stärken
Changing Cities (2019): 2018: 16,8% mehr getötete Radfahrer*innen als 2010
Diamant (2018): Fahrradstadt Kopenhagen
Mit großem Interesse habe ich den Beitrag von Norman Voigt gelesen. Ja, Radwege müssen sicherer werden, dann fahren auch mehr Leute mit dem Rad! Ich selber fahre täglich mit dem Rad. Hier in Lintorf ist das Radeln an/ auf manchen Straßen sehr ungemütlich. Zum Beispiel auf der Radfahrspur Rehhecke. Autofahrer halten viel zu wenig Abstand zu den Radfahrern. Ich selber weiche immer wieder auf den alten Radweg am Rand des Fußweges aus. Diese Radfahrspuren auf der Straße sind für Radfahrer eine Katastrophe, finde ich. Auf der Rehhecke fahren viele LKW und wenn die an mir vorbeifahren ist das für mich unerträglich.Es ist in meinen Augen ein Unding Rad-und autoverkehr gemeinsam auf die Straße zu legen. Radfahrer müssen einen geschützten Radweg für sich haben, am besten noch abgesichert mit einem Grünstreifen zur Fahrbahn. Jedem , der das anders sieht, kann ich nur sagen: einfach mal an verschiedenen Tagen und zu unterschiedliche Zeiten die Rehhecke auf der Radfahrspur befahren, in der Richtung vom Breitscheider Weg zur Krummenweger Straße.
Außerdem muss es endlich eine Ampel an der Ecke Rehhecke / Krummenweger Straße geben. Als Radfahrer und auch als Fußgänger ist die Ecke wirklich lebensgefährlich. Viele Autofahrer halten nicht an dem ersten Stop der noch in der Rehhecke ist, um zu sehen ob Radfahrer von links oder rechts kommen oder ein Fußgänger über die Straße will. Die meisten fahren gleich im Tempo bis ganz vorne durch. Ich selber habe es oft genug erlebt. Für Radfahrer ist es auch schwierig alle Autos im Blick zu haben, denn sie müssen zur Seite schauen in die Rehhecke hinein, geradeaus was ihnen auf der Krummenweger Straße entgegen kommt und vielleicht abbiegen will, und seitwärts nach hinten um zu sehen was von dort aus der Krummenweger Straße in die Rehhecke will. Und dann einschätzen, hält der autofahrer auch wirklich? Oder fährt er einfach durch? Hat der mich gesehen? Und wenn er schon hält, hat der mich gesehen und fährt nicht gerade dann wieder los wenn ich rüber will? Eine ampel könnte das alles super regeln und allen wäre geholfen , die Unfallgefahr wäre erheblich reduziert.
Hallo Frau Stursberg,
vielen Dank für das Feedback. Kommentare helfen uns grundsätzlich sehr, dass auch wir besser argumentieren können.
Sie sprechen natürlich ein grundsätzliches Problem: Wie organisieren wir unserer Infrastruktur. Das, was zur Zeit gemacht wird, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Fahrradschutzstreifen ist die einfachste und günstige Alternative, Radfahrern und Radfahrerinnen einen Schutzraum zu suggerieren, der in Wahrheit nicht so vorhanden ist. Funktionierte Fahrradschutzräume sind z. B. in Dänemark und den Niederlanden ersichtlich. Ich kann jedem empfehlen, bei einem Urlaub in Städten wie Amsterdam oder Kopenhagen mind. einen Radtag einzuplanen, um einmal das „Feeling“ einer solchen Infrastruktur zu spüren.
Am Ende ist so: Städte wie Utrecht & Co. investiert über einhundert pro Einwohner*in und Jahr; deutsche Städte einige wenige Euro. Wenn die Infrastruktur grundlegend geändert werden soll, sind höhere Investitionskosten erforderlich. Und zuvor eine konkrete Vision, wo es eigentlich hingehen soll. Das alles fehlt zur Zeit. Der Druck auf der Bevölkerung ist noch nicht stark genug; das Auto noch ein zu wichtige Institution in Deutschland.
Ich bitte Sie: Wenden Sie sich an die kommunale Politik. Schreiben Sie Leserbriefe. Artikulieren Sie die Situation. Bleiben Sie hartnäckig, bringen Sie eine Menge Geduld mit und machen Sie bitte eins nicht: Steigen Sie nicht vom Rad. Es ist wichtig, dass Radfahrer*innen im Straßenverkehr wahrgenommen werden. Mehr Radfahrer*innen bedeuten eine bessere Infrastruktur in der Zukunft. Dafür muss radelnd gestritten werden 🙂
Mit besten Grüßen
Norman